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Ins Berufsleben – auch ohne Hauptschulabschluss

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14. April 2022

Wie wichtig ist eigentlich ein Hochschulabschluss für das spätere Berufsleben? Der Deutschlandfunk hat dazu vor einiger Zeit mit Dr.-Ing. Mathias Bohge gesprochen. Sein Unternehmen R3 Solutions sucht derzeit nach neuen Mitarbeiter*innen, was nicht ganz einfach ist. Denn aktuell gibt es in der IT-Branche nicht genug Absolvent*innen, um den Bedarf der Unternehmen decken.

Mit meiner Kaffeetasse in der Hand schalte ich das Interview zum wiederholten Male ein. Mathias Bohge ist Elektroingenieur und Mitgründer des jungen Industrieunternehmens R3 Solutions. Das ehemalige Startup entwickelt eine hoch spezialisierte Vernetzungstechnologie. Heute führt Mathias Bohge das Unternehmen als einer von zwei Geschäftsführern. Seine Gedanken zur These „Ein Hochschulabschluss ist immer gut, aber nicht immer notwendig“ bringen mich zum Grübeln. Unsere Gesellschaft hat sich – so nehme ich es wahr - eingeprägt, dass ich nur mit Top-Abschluss später auch Top-Möglichkeiten im Berufsleben haben werde. Nur ob das wirklich so ist, da habe ich meine Bedenken – spätestens, seit ich Mathias im Radio gehört habe.

Die IT-Branche wächst. Die Zahl freier Stellen für IT-Fachkräfte ist laut Bitkom von 2020 bis 2021 um 12% gestiegen: 96.000 offene Stellen gibt es derzeit. Und immer mehr IT-Startups entstehen mit immer neuen spannenden Lösungen. Doch längst gibt es nicht mehr genügend qualifizierte Absolvent*innen mit bestandenem Hochschulabschluss. Ein Gedanke lässt mich nicht los:  Was versteht man eigentlich unter qualifiziertem Personal?Mathias Bohge macht seine Sicht darauf im Interview mit dem Deutschlandfunk klar: Abschluss ist gut, Können und Begeisterung sind besser.

Arbeitsmarkt: Menschenleer

Wenn es um Neueinstellungen geht, nutzten junge Unternehmen wie R3 Solutions zuerst das eigene Netzwerk an Kontakten. Doch irgendwann, so beschreibt Mathias Bohge, sei dieser Pool ausgeschöpft. An dem Punkt stehe das von ihm und seinen Mitarbeiter*innen aufgebaute sechsjährige Unternehmen gerade. Überall suchen er und seine Kolleg*Innen – an Universitäten und teils sogar unterstützt von Headhuntern. Jedoch erweist sich die Suche schwieriger als gedacht. Es gibt schlicht zu wenige Absolvent*innen, zumindest weniger, als eigentlich gebraucht werden. Gute Leute gibt es aber auch ohne Uni-Abschluss und genau denen gebe R3 solutions eine Chance.

„Wir müssen Menschen finden, die sich engagieren wollen, die „dahinterstehen“, die klug und intelligent sind“, meint Mathias Bohge im DLF-Gespräch. Jungen Unternehmen, welche mit großen Konzernen im Wettbewerb stehen, können nicht die gleichen Gehälter zahlen. Und so rücken Entwickler*innen und Programmierer*innen ohne Hochschulabschluss in den Fokus. Haben die eine Chance? „Ja, auf jeden Fall. Also wenn es Menschen gibt, die das gut können und die in der Lage sind, auf diesem Level zu programmieren.“ Das Anschreiben, persönliches Engagement, sowie, wie sich die Bewerber*innen präsentieren, sei von höherer Bedeutung. Mathias Bohge sagt, er schaue vor allem nach dem Potenzial und ob die Person in absehbarer Zukunft ein Gewinn für das Unternehmens sei. Könne er diese Punkte bejahen, stehe einem Kennenlernen nichts im Wege. Auch ist sich Mathias Bohge bewusst, es braucht Zeit, bis sich Menschen in die neue Arbeitsumgebung eingearbeitet haben: „Wir sind alle nun mal unterschiedlich.“

Laut Mathias Bohge müssen Bewerber*innen was „draufhaben“. Doch was bedeutet: Etwas draufhaben? Seine Erklärung: „Ich muss sehen, dass der/diejenige das macht, weil die Aufgabe spannend ist. Dass es nicht rein ums Geldverdienen geht, sondern dass da eine gewisse Faszination dahintersteht“. Denn es werde im Unternehmen einiges von den Mitarbeiter*innen verlangt, um die Vorstellungen der Kund*innen zu verwirklichen. Das könne nur „unter großem persönlichen Einsatz“ realisiert werden, so Mathias Bohge,. Für diesen Einsatz gewährt R3 Solutions seinen Mitarbeiter*innen viele Freiheiten und auch Entscheidungsfreiheit. Grundsätzlich habe jede*r mit starkem Interesse für die IT-Branche eine Chance für ein Bewerbungsgespräch bei R3 Solutions – ob mit oder ohne Hochschulabschluss, mit bestandenem oder abgebrochenem Studium.

Eigenstudium: Programmieren

„Es ist wichtig, dass man auf einem sehr hohen Level programmieren kann“, betont Mathias Bohge, „Das erfordert aber nicht unbedingt ein Informatikstudium. Er beschreibt, dass er selbst das Informatikstudium erfolgreich abgeschlossen habe und trotzdem: „Ich kann nicht das programmieren, was meine Mitarbeiter teilweise programmieren. Entsprechend sind die, die es können, für uns natürlich Gold wert“.

Dabei beruft sich der Elektroingenieur auf seine Erfahrungen. Er arbeitete einige Jahre in einer Unternehmensberatung, bei der er kluge Absolvent*innen von Top-Universitäten kennenlernen durfte. Aber lernte auch solche kennen, die zwar den Abschluss in der Tasche hatten, aber bei weitem nicht so gut waren, wie erwartet. Entsprechend bedeute ein abgebrochenes Studium nicht, dass ein*e Bewerber*in schlechter sei. Vielmehr setze der Beruf als Entwickler*in voraus, begabt im Entwickeln zu sein. Dies könne an Universitäten gelernt werden, gelinge aber auch im Selbststudium zusammen mit viel Praxis. Es gebe schließlich genug „Tutorien auf einem beliebigen Videoportal“, so Mathias Bohge.

Der Hochschulabschluss zählt nicht vorrangig, sondern das eigene Können und der eigene Wille – Diese neue Sicht war für mich persönlich etwas Neues, Ungewohntes, fast schon Aufregendes. Und gleichzeitig war es beruhigend. Es ist angenehm, dass Menschen, die im Bewerbungsprozess Entscheidungen treffen, mehr und mehr das Bestreben der Bewerber*innen sehen – gerade in einer Zeit, in der von außen immer mehr Druck auf junge Menschen ausgeübt wird, den Hochschulabschluss als einzigen Ausgangspunkt für die Berufswelt zu haben.